Young woman in workshop wearing goggles, focusing on machinery operation.

Die Suche nach Auszubildenden wird für viele kleine und mittlere Unternehmen zur Geduldsprobe.
Die Zahl der Bewerbungen sinkt, gleichzeitig steigen die Erwartungen: motiviert, teamfähig, sprachlich fit, digital versiert – am besten „einsatzbereit ab Tag eins“.

Doch wer genau hinsieht, erkennt: So funktioniert Ausbildung nicht. Der „perfekte Azubi“ existiert nicht – muss er auch nicht.
Denn Ausbildung bedeutet, Fähigkeiten aufzubauen – nicht, sie schon zu haben. Zwischen schulischer Vorbereitung und betrieblicher Realität liegt der kleinste gemeinsame Nenner:
die Lernbereitschaft und das Entwicklungspotenzial der Jugendlichen.
Darauf können beide Seiten realistisch aufbauen.

Schule legt das Fundament – Betriebe bauen darauf auf

Schulen fördern Basiskompetenzen: Lesen, Schreiben, Rechnen, Lernstrategien, Teamarbeit, Verantwortungsbewusstsein.
Sie vermitteln die Grundlagen und helfen Jugendlichen, sich beruflich zu orientieren – sie bereiten jedoch nicht auf konkrete Berufe vor.

Jugendliche bringen Potenzial mit, keine Berufserfahrung. Sie haben Stärken in Teilbereichen, aber selten in allen. Sie brauchen Praxisbezug, um ihre Kompetenzen zu festigen.

Für Betriebe heißt das: Wer nur nach der „idealen“ Bewerberin oder dem „vollständigen“ Azubi sucht, sucht oft vergeblich.
Erfolgreiches Recruiting erkennt Entwicklungspotenzial – nicht Perfektion.

Der kleinste gemeinsame Nenner: Entwicklungspotenzial statt Perfektion

Der kleinste gemeinsame Nenner zwischen Schule und Betrieb besteht aus vier Bereichen, die sich ergänzen:

Kompetenzfeld

Schule vermittelt…

Betriebe entwickeln weiter…

Basiskompetenzen

Lesen, Schreiben, Rechnen, Lernstrategien

Anwendung im Berufsalltag, Fachsprache

Soziale Kompetenzen

Teamarbeit, Konfliktlösung, Empathie

Kundenorientierung, Rollenverständnis

Selbstkompetenz

Eigenverantwortung, Motivation, Durchhaltevermögen

Arbeitsdisziplin, Prioritätenmanagement

Digitale & Fachkompetenz

Grundverständnis digitaler Tools

Branchenspezifische Software, Technikpraxis

Wenn Basiskompetenzen fehlen – was Betriebe tun können

Natürlich gibt es Grenzen. Wer kaum lesen, schreiben oder rechnen kann, dem fehlen Grundlagen, auf denen Ausbildung aufbaut.

Aber: Das muss kein Ausschlusskriterium sein. Viele Defizite lassen sich mit gezielter Unterstützung ausgleichen – und genau hier können Förderprogramme helfen.

In Nordrhein-Westfalen (NRW) stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung, die KMU entlasten und Jugendliche mit Förderbedarf begleiten:

Programm / Angebot

Ziel / Nutzen für Betriebe

Träger / Kontakt

Assistierte Ausbildung (AsA flex)

Begleitet Jugendliche mit Lern- oder Sprachdefiziten während der Ausbildung – inklusive Stützunterricht, sozialpädagogischer Betreuung und Coaching für Betrieb & Azubi.

Bundesagentur für Arbeit → arbeitsagentur.de

Ausbildungswege NRW

Zuschüsse für Betriebe, die Jugendliche mit Vermittlungshemmnissen ausbilden; Coaching und Unterstützung im Matching-Prozess.

Land NRW / ESF+ → mags.nrw

Bildungsscheck NRW

Förderzuschuss (bis zu 50 %) für betriebliche Weiterbildung – kann auch zur Qualifizierung von Ausbilder:innen oder Lernbegleitung eingesetzt werden.

Land NRW / ESF → dekra-akademie.de

Startchancen-Programm NRW (ab 2024)

Verbesserung von Basiskompetenzen, sozial-emotionalen Fähigkeiten und Berufswahlkompetenz in Schulen – Ziel: bessere Übergänge in Ausbildung.

Land NRW / Bund → mags.nrw

Nachteilsausgleich bei LRS / Dyskalkulie

Rechtliche Möglichkeit für Auszubildende mit diagnostizierten Lernstörungen (z. B. Lese-Rechtschreib- oder Rechenschwäche), Prüfungsbedingungen anzupassen.

Berufsschule / Kammer / bvl-legasthenie.de

Was professionelles Recruiting beitragen kann

Auch wir als Recruiter:innen tragen Verantwortung dafür, dass Ausbildung gelingt. Denn Recruiting ist mehr als das Finden von Bewerber:innen – es ist die Kunst, Potenziale sichtbar zu machen und Erwartungen realistisch zu steuern. Wir können (zusammen mit Ausbilder:innen) durch Auswahlentscheidungen bewirken, dass Schwächen eines Bewerbers (z. B. schlechte Noten, geringe Erfahrung, Sprachprobleme) nicht automatisch als Ausschlusskriterium, sondern als Ausgangspunkt für Entwicklung gesehen werden.

Das heißt:

  • Potenzial statt Perfektion vermitteln:
    Betriebe ermutigen, bei der Auswahl junger Menschen stärker auf Lernbereitschaft, Motivation und Persönlichkeit zu achten – und weniger auf perfekte Noten oder fehlerfreie Anschreiben.
  • Erwartungen ausbalancieren:
    Wir helfen, Anforderungsprofile zu schärfen – realistisch, aber nicht abschreckend. Wer in Stellenanzeigen zu viel verlangt, verpasst häufig genau die Bewerber:innen, die am besten ins Team passen würden.
  • Frühzeitige Orientierung schaffen:
    Über Kooperationen mit Schulen, Berufskollegs oder Projekten wie KAoA (Kein Abschluss ohne Anschluss) können wir Brücken bauen – und jungen Menschen den Weg in den Betrieb erleichtern.
  • Begleitung über den Start hinaus:
    Recruiting endet nicht mit der Vertragsunterschrift. Gerade in den ersten Monaten entscheidet sich, ob Ausbildung gelingt oder scheitert. Durch regelmäßige Feedbackgespräche zwischen Betrieb, Azubi und Förderstellen können wir Konflikte früh erkennen und gemeinsam lösen.
  • Haltung zeigen – und Perspektiven bieten:
    Unsere Aufgabe ist es, Ausbildung als Zukunftsprojekt zu begreifen. Wenn wir authentisch kommunizieren, Potenziale betonen und Betriebe bei ihrer Nachwuchsarbeit begleiten, gestalten wir Zukunft.

Fazit: Der passende Azubi entsteht – er wird nicht gefunden

Der kleinste gemeinsame Nenner zwischen Arbeitgebern und Azubis heißt Vertrauen in Entwicklung.
Nicht alle Kompetenzen müssen zu Beginn vorhanden sein. Entscheidend ist, dass beide Seiten bereit sind, daran zu arbeiten.

Für KMU bedeutet das: weniger Forderungen, mehr Förderung – weniger Perfektion, mehr Perspektive – weniger Bewerbungsfilter, mehr Potenzialblick. Wer jungen Menschen die Chance gibt, Fähigkeiten zu entfalten, investiert nicht nur in Fachkräfte, sondern in die Zukunft des eigenen Unternehmens.

Ähnliche Beiträge